Um 7:00 bimselte mein iPhone mich aus dem Schlaf. Das fand ich gemein, denn ich hatte ziemlich schlecht geschlafen: Das Bett war zu hart und das Kissen zu klein. Mehrfach bin ich aufgewacht, und erst ab etwa 2:00 Uhr schlief ich wirklich fest.
Die Dusche im großzügig bemessenen Bad tat sehr gut. Überhaupt (bis auf das Bett) war das Akzent-»Hotel Stadt Schlüchtern« ein recht angenehmer Aufenthaltsort – freies WLAN inklusive. Auch das Frühstücksbuffet war reichlich. Ich schmierte mir ein paar Bemmen und mopste mir ein hartgekochtes Ei, beides für die Mittagspause (die ich dann aber doch anders verbrachte).
Zurück in meinem Zimmer packte ich den Rucksack etwas um, weil er gestern auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt irgendwie unausgewogen erschien. Dann bezahlte ich (57 Euro) und wanderte um 9:00 los, mit rund 20 km vor mir (Update: Vom Wirt am Zielort Mernes erfuhr ich, dass ich 24 km in den Beinen hatte). Das Ziel der Tagesetappe war ein Gasthaus im Ort Mernes.
Morgens war es noch recht kühl und Regen mit leichtem Gewitterrisiko war angesagt. Darum hatte ich meine Regenjacke gleich angezogen. Und begann bei einem heftigen Anstieg am Ende von Schlüchtern hoch zum Eselsweg prompt dermaßen zu schwitzen, dass mir die Suppe in die Brille lief. Unangenehm! Darum hielt ich an, packte meine Brille ein und mein Shemagh aus (zu dem Teil muss ich noch einmal gesondert etwas schreiben, denn heute habe ich es zu lieben gelernt), wickelte es mir um den Kopf und war ab diesem Moment schweißfrei.
Der Weg ging zunächst steil bergan, fiel dann nach Hohenzell wieder ab und brachte mir die erste Ortsberührung. Ich verließ ziemlich genau um 10 Uhr den Ort, als der Kirchturm zu schlagen begann. Ich bin aus Hannover sehr tiefe, eher dumpfe Glockenschläge gewohnt, doch hier war der Klang hell und angenehm. Er begleitete mich bis zu einer Pferdekoppel, auf der ein Esel stand. Ein Esel am Eselsweg – das musste ich unbedingt festhalten.
Während ich da stand und einen Beitrag in mein iPad tippte, kam ein älterer Herr vorbei, der misch anschpresche gedahn hat. Isch habbe nu de Hälfde verstandn, weil de Ma so schtarkes Häsisch babbele dad. Er sagte: »Geschde de Eselwehch?« Ich bejahte. Er: »Mit dem Ding da?« und zeigte aufs iPad. »Ach, des isch a feine Sache, hättsche gern scho früher g’habt. All de guhde Kadde un so.«
Ich entnahm seinem folgendem Redeschwall dann noch, dass ich das nächste Stückchen lieber umgehen sollte, weil – mir ist leider der total niedliche hessische Begriff entfallen – er in schlechtem Zustand sei. Wir trennten uns, und nach ein paar hundert Metern war mir klar, was er gemeint hatte: Der Eselsweg entpuppte sich leicht hügelauf gehend als extrem schlüpfrige Angelegenheit. Gut, dass ich meine Leki-Wanderstäbe dabei hatte. Und so murmelte ich: »Challenge accepted« und schlitterte unter den bewundernden Blicken einer Herde Kühe bergan. Einige trabten neben mir her und schienen mich anzufeuern. Vielleicht wollten sie aber auch, dass ich ausrutschte, damit sie endlich ihre Gaudi haben. Ich kam sicher oben an.
Offenbar sind wir hier in einer Äbbelwoi-Region, denn wohin man guckt stehen Apfelbäume. Ich nahm mir einen vielversprechend aussehenden Paradeiser von einem Baum am Wegesrand, biss hinein und verlor beinahe die vorderen Schneidezähne. Scheibenkleister, war der hart. Ich überließ ihn den Würmern am Boden.
Der nächste Ort, durch den der Eselsweg mich führte, war Bellings. Ein kleines Dorf mit hübscher Bushaltestelle, die allerdings nur werktags bedient wird. Zwei oder drei Mal. Wer hier weg will, der will wirklich weg. Am Ortsausgang wies mich das schwarze E auf weißem Grund nach links, wieder bergan. Um 11 Uhr hatte ich eine kleine Straßenkehrung erklommen, an der ein Tisch, zwei Bänke und ein Mülleimer standen. Ich legte kurz ab, warf mir zwei Müsliriegel ein und ging dann weiter, wurde allerdings von einem Traktor überholt, der eine Rußwolke hinter sich her zog, wie ich sie seit den 1970er Jahren nicht mehr gesehen habe – außer bei Olivers getunter Mofa Mitte der 1980er.
Schließlich gelangte ich an eine Landstraße, an der ein Freizeitpark lag, über dessen Armseligkeit ich nichts sagen kann, weil ich nicht drin war. Was ich von außen erhaschen konnte, war aber erschreckend. Ein paar Hundert Meter weiter gab es eine riesige Grasfläche – wohl als Parkplatz gedacht – und auf der ereilte mich ein Regenschauer. Am Ende des Parkplatzes fand ich einen Kletterwald vor, wo ich meine Mittagspause einlegte. Und dann… Dann ging es endlich wirklich in den Spessart hinein. Und weil es aufgehört hatte zu regnen, schnallte ich meine Regenjacke auf den Rucksack und lief kurzärmelig weiter.
Und nach wenigen Hundert Metern ging es wieder hinaus. Dann lief ich entlang eines Golfplatzes – Kilometer um Kilometer, wie es schien – bevor ich endlich wieder in den Wald einbog. Jetzt wurde es schließlich schön.
Der Weg – oder besser: Pfad – war genau so, wie ich mir das wünsche, nämlich klein, eng, verschlungen, aufgeweicht und glitschig. Allemal besser als so ein Waldwirtschaftsweg (auf denen ich nun wirklich auch heute mehr als genug gelaufen bin). Ich wurde von zwei Mountain-Bikern überholt, die kaum schneller waren als ich, was den einen sichtlich abtörnte.
An der Landstraße 3179 bog ich vom Eselsweg ab und folgte dem Wanderweg 20 hinab nach Mernes. Ich freue mich schon auf den Aufstieg morgen früh – wenn ich oben angekommen bin, kann jemand meine Einzelteile einsammeln kommen. Aber vielleicht finde ich auch eine weniger üble Alternativroute hinauf auf den Höhenweg.
Das Gasthaus »Zum Jossatal«, bei dem ich vorab telefonisch ein Zimmer bestellt hatte, liegt nur wenige Schritte vom Abstieg entfernt. Als ich mich näherte, kam eine resolut wirkende Dame heraus, die draußen ein Kännchen Kaffee servierte. Sie blickte mich an und stellte fest: »Sie sind Herr Pflüger. Da sind sie ja ganz schön schnell gelaufen.« Handschlag, willkommen, wollen Sie was trinken? Ja bitte, ein lokales Bier. Ich trinke so gut wie nie Bier. Ich bekam ein dunkles Pils aus der Gegend. Mei, das isch süffisch! Um nicht ganz 16 Uhr war meine Tagesetappe dann erledigt. Bin ich wirklich so fit? Oder rächt sich das Tempo morgen etwa?
2 Antworten zu “Eselsweg: Von Schlüchtern nach Mernes”
Das ist aber ein schöner Bericht. Ich möchte am liebsten nachkommen und mitlaufen
Viel Freude weiterhin, und immer ein gutes lokales Bier!
Gruß
Dein Vater
Wenn Du Melkfett und Murmeltier-Crème mitbringst, bist Du herzlich willkommen 😀