Eselsweg: Von Flörsbach nach Heigenbrücken


Ich habe im Hotel »Flörsbacher Hof« geschlafen wie ein Stein. Bis auf eine Sache: Mitten in der Nacht – um Mitternacht, um genau zu sein – piepste ein Wecker, der auf meiner Kommode stand. Schlaftrunken schaltete ich ihn aus. Vier Minuten später piepste er wieder. Hat jemand mal versucht, einen fremden Wecker richtig abzuschalten? Ich habe versagt. Die Radikalmaßnahme: Batterien raus.

Als ich morgens um 7 Uhr vom iPad sanft geweckt wurde, tat mir alles weh. Die Beine ließen sich kaum bewegen, meine Schultern schmerzten, die Füße auch. Ich schlich wie ein geprügelter Hund unter die Dusche. Danach ging es mir nur unwesentlich besser. Alle Extremitäten waren irgendwie verhärtet und die Beine extrem schwer. Und heute lag eine 25-km-Tour vor mir. Toll.

Langsam, sehr langsam, packte ich meine Sachen in den Rucksack und das Kamera-/iPad-Zusatzgeraffel und schleppte das Gepäck und mich selbst in den Frühstücksraum. Es war kurz vor 8 Uhr. Der Wirt hatte reich gedeckt – außer mir war nur noch ein älteres Ehepaar aus Wolfsburg im Haus. Es gab zig Sorten Müsli, zwei Brötchen-Varianten und ein hausgebackenes Brot. Ich bekam einen großen Teller mit Wurst und Käse, ein perfekt gekochtes Ei (noch nicht ganz hart, aber auch nicht mehr ganz weich) und etliche hausgemachte Marmeladen mit irren Kombinationen. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an der Marmeladenvielfalt! Also ran, irgendwas mit Erdbeer, Giersch und Amaretto. Boah wie geil! Diese Marmelade war so toll, dass ich eine zweite gar nicht mehr probieren konnte, weil ich nicht genug von ihr bekam und satt war, als ich bereit für eine zweite Marmeladensorte war.

Man kann die Marmeladen (und vieles selbst Gemachtes mehr) dort auch kaufen, allerdings habe ich bekanntlich keine Kapazitäten mehr im Rucksack, und so nahm ich davon Abstand. Ich durfte mir Brote zum Mitnehmen schmieren.

Ich bezahlte und ging. Heute hatte ich gleich etwas mit langen Ärmeln an, doch das nützte nichts, denn es nieselte und es sah nach mehr aus. Also noch auf der Terrasse des Hotels wieder abrödeln, Regenjacke an und alles wieder aufsetzen. Und gleich die Handschuhe an. Und los ging’s, zwei Kilometer Langeweile in Flörsbach. Erst oben auf dem Berg gab es einen schönen Blick zurück ins Flörsbach-Tal.

Blick vom Eselsweg auf Flörsbach
Blick vom Eselsweg auf Flörsbach

Der vorläufig ereignisarme Weg führte mich durch dichtes Gestrüpp mit einem im dichten Gestrüpp versteckten Hinweis auf die Gefahr von Zeckenbissen (ich habe natürlich eine FSME-Impfung, aber vor anderen fiesen Krankheiten schützt die auch nicht). Das Schild sollte mal freigeschnitten werden.

Warnhinweis: »Vorsicht vor Zeckenbissen«. Spaßvögel. Die Viecher lauern im dichten Gebüsch!
Warnhinweis: »Vorsicht vor Zeckenbissen«. Spaßvögel. Die Viecher lauern im dichten Gebüsch!

Ein paar Meter weiter befand ich mich im dichten Pflanzwerk, fand einen Knallblumenstrauch und hatte ein bisschen Spaß.

Ich weiß nicht, wie die blühenden Pflanzen heißen, aber sie haben so lustig explodierende Samenkapseln. Wenn man sie hinten am Stiel berührt, knallt es und die Saat spritzt durch die Gegend. Drei Minuten lang hatte ich echt Spaß, dann ging es weiter.
Ich weiß nicht, wie die blühenden Pflanzen heißen, aber sie haben so lustig explodierende Samenkapseln. Wenn man sie hinten am Stiel berührt, knallt es und die Saat spritzt durch die Gegend. Drei Minuten lang hatte ich echt Spaß, dann ging es weiter.

Im Folgenden ging es rauf und runter, rauf und runter. Glücklicherweise nicht mit sehr starken Anstiegen verbunden, denn die 45 km der letzten beiden Tage steckten mir echt in den Knochen. Immerhin ließ mich meine wund geschubberte Stelle im Schritt in Ruhe, aber einen Fuß vor den anderen zu setzen war echt harte Arbeit heute.

Auf und nieder, immer wieder
Auf und nieder, immer wieder

Schließlich, nach einem langgezogenen Abstieg, kam ich an den Dr.-Karl-Kiehn-Platz. Dr. Kiehn war Mitbegründer des Spessartbundes, einem Zusammenschluss vieler Wandervereine in der Region, und hat sich dermaßen verdient gemacht, dass noch zu seinen Lebzeiten die Wegkreuzung mehrerer wichtiger ehemaliger Handelsrouten und heutiger Wanderwege seiner Person gewidmet wurde. Heute steht dort nicht nur ein Monument und eine erläuternde Tafel, sondern auch ein bombastischer Unterschlupf, der picobello sauber ist.

Die großzügigste und best gepflegte Wetterhütte, die ich je gesehen habe: am Dr.-Karl-Kiehn-Platz
Die großzügigste und best gepflegte Wetterhütte, die ich je gesehen habe: am Dr.-Karl-Kiehn-Platz

Dabei fällt mir auf, dass Entlang des Eselsweges insgesamt nur sehr wenige Unterstände zu finden sind, in denen man sich vor schlechtem Wetter schützen kann. Ich habe nur drei Stück bewusst wahrgenommen.

Der heutige Abschnitt war ziemlich abwechslungsreich. Allerdings habe ich kaum etwas davon mitbekommen, weil ich so auf mich selbst konzentriert war. Neben den ganzen Schmerzen in Beinen und Schulter stellte ich kurz nach dem Kiehn-Platz fest, dass meine Hose hinten komplett nass war. Auch die Unterhose war durch. Und das T-Shirt. Und das Langarmhemd. Sollte meine Camelbak-Wasserblase ausgelaufen sein?

Ich setzte den Rucksack und das ganze Geraffel unter einem überhängenden Baum auf halbwegs trockenen Boden und prüfte es. Nein, der Rucksack war trocken (außer was der mittlerweile durchgezogene Regen benetzt hatte natürlich). Offenbar hatte ich in der Regenjacke am Rücken, wo die Gore-Tex-Wirkung der Jacke dank des eng anliegenden Rucksacks nicht richtig zur Entfaltung kommen konnte, so stark geschwitzt, dass mir der Schweiß in Strömen den Rücken heruntergelaufen war. Da ich daran nun nichts ändern konnte, ging ich nass und mit kälter werdendem Rücken weiter.

An einem malerischen Parkplatz, der als Holzschnipsel-Lagerplatz einerseits, als »Der gute Pott«-Taschenflaschen-Entsorgungsplatz andererseits genutzt zu werden scheint, machte ich mittags eine 20-Minuten-Schnellpause. Es gab zwei billige Plastikbänke mit Peniszeichnungen und eine praktische und pflegeleichte Betontischplatte. Im Gebüsch lagen gebrauchte Kondome. Nach dieser Entdeckung ging ich lieber, wobei ich mich anstellte wie der Storch im Salat.

Gelegentlich ist der Einstieg in den Eselsweg nicht ganz so leicht zu entdecken
Gelegentlich ist der Einstieg in den Eselsweg nicht ganz so leicht zu entdecken

Gelegentlich ärgerte ich mich darüber, dass ich keinen Spankorb dabeihatte. Jede Menge Pilze, die selbst ich erkennen konnte, säumten den Weg, darunter junge Steinpilze. Die kleinsten, über die ich beinahe stolperte, waren knappe 5 cm groß, die größten gut und gerne 10 cm. Bestimmt zwei Dutzend fand ich, ohne danach überhaupt zu suchen – und da rechne ich die angefressenen Steinpilze gar nicht erst mit.

Am Wegesrand konnte ich Dutzenden dieser hochgiftigen Pilze, um die selbst Maden und Würmer einen Riesenbogen zu machen scheinen, in den Größen zwischen 5 und 10 cm Höhe erfolgreich aus dem Weg gehen. Später hörte ich von der Wirtin, sie seien gar nicht giftig, sondern 30 Euro das Kilo wert.
Am Wegesrand konnte ich Dutzenden dieser hochgiftigen Pilze, um die selbst Maden und Würmer einen Riesenbogen zu machen scheinen, in den Größen zwischen 5 und 10 cm Höhe erfolgreich aus dem Weg gehen. Später hörte ich von der Wirtin, sie seien gar nicht giftig, sondern 30 Euro das Kilo wert.

Kurz vor der Waldgaststätte »Engländer« schlug das Wetter um. Es wurde immer dunkler, so dass der ohnehin schon düstere Fichtenwald immer bedrohlicher und surrealer wurde. Wer von Euch das Computerspiel »World of Warcraft« noch kennt: Hier sind die Riesenspinnen zu Hause.

Dieses Bild nenne ich »Wo sind die Spinnen-Mobs?« - Die World-of-Warcraft-Spieler werden wissen, was ich meine. Leider ist das iPad offenbar mit einem Restlichtverstärker ausgestattet, denn das ist hier viel, viel heller als in Wirklichkeit.
Dieses Bild nenne ich »Wo sind die Spinnen-Mobs?« – Die World-of-Warcraft-Spieler werden wissen, was ich meine. Leider ist das iPad offenbar mit einem Restlichtverstärker ausgestattet, denn das ist hier viel, viel heller als es in Wirklichkeit war.

Es begann schließlich heftig zu regnen, was ich am Waldboden mehr hörte als abbekam. Als ich endlich beim »Engländer« ankam (der natürlich geschlossen war), beschloss ich, die Tour abzukürzen und mein Etappenziel Heigenbrücken durch Jakobsthal statt über den Eselsweg anzulaufen. Das hatte einen Vorteil: Mein Hotel, das »Landgasthaus Hochspessart«, liegt gleich am Ortseingang und ich sparte etwa zwei Kilometer gegenüber der eigentlichen Tour. Also hinunter ins Tal, in den Ort. Schon auf dem Weg dorthin begann ich zu hoffen, dass ein Bus fährt. Denn auf Asphalt läuft es sich mit müden Beinen besonders schlecht. Kaum kam ich in den Ort, sah ich in der Entfernung ein Haltestellen-H stehen. Noch etwa hundert Meter…

Da fuhr der Bus an mir vorbei.

Ein Minibus, links eine doppelte Sitzreihe, rechts Einzelplätze. Der Fahrer sah mich im Vorbeifahren, verzögerte kurz, blinkte, und als er mich laufen sah, hielt er an. Am »Engländer« hatte ich auf einer Umgebungskarte entdeckt, dass es im Stadtzentrum von Heigenbrücken eine Apotheke gab. Da wollte ich hin und Melkfett und Murmeltier-Creme kaufen. Und so löste ich eine Fahrt in die Ortsmitte. Sie kostete sage und schreibe einen Euro und ich war nach zehn Minuten da – statt nach zwei oder drei Stunden Latscherei auf der (spärlich befahrenen) Landstraße. Bei der Gelegenheit rasten wir an meinem Hotel am Ortseingang vorbei und beendeten die Fahrt zwei Kilometer entfernt.

Stadtzentrum Heigenbrücken. Was soll ich sagen? Ja, es gibt eine Apotheke. Das war’s dann auch schon. Melkfett und Murmeltierzeug gab es nicht (kaufe ich nächstes Mal präventiv bei Amazon), so wich ich auf Vaseline und Latschenkiefer aus. Immerhin habe ich jetzt was für die kommenden Tage.

Die zwei Kilometer zurück zum Ortsrand waren das anstrengendste Stück Wegs heute. Ich meldete mich an, hinkte unter die Dusche und rieb hinterher meine protestierenden Muskelstränge mit Latschenkiefer ein. Duftet gut und entspannt.

Mein Zimmer ist großzügig und sehr sauber, ich fühle mich hier pudelwohl. In der Gaststube bestellte ich mir dann Medaillons von Jungschwein aus der Region mit Tagliatelle und Waldegerlingen. Keine Sorge, das sind keine Maikäferlarven, sondern schlichtweg Champignons. Und weil Egerling so schön exotisch klingt, heißt es hier halt so. Doch bevor mein Schwein kam, kam ein »kleiner« Salat:

Ein klitzekleiner Salat vorweg, der Herr?
Ein klitzekleiner Salat vorweg, der Herr?

An dieser Stelle hätte ich dann eigentlich schon abwinken können, aber ich habe nicht für den – übrigens ausgezeichneten – Salat bezahlt, sondern dafür (und das habe ich dann auch noch aufgegessen, nicht aus Hunger, sondern weil es so lecker war!):

Medaillons von Jungschwein aus der Region mit Tagliatelle und Waldegerlingen
Medaillons von Jungschwein aus der Region mit Tagliatelle und Waldegerlingen

Jetzt reibe ich mich noch einmal mit dem Latschenkiefer ein und gehe dann in die Falle.

Erkenntnis des Tages:
Ich muss keine Spiegelreflex-Kamera mit mir herumtragen. Ich fotografiere fast ausschließlich mit dem iPad.